Nanomaterialien und Nanotechnologien

Nanotechnologien gelten als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Auf Grund der noch bestehenden Wissenslücken bei Eigenschaften und Wirkung dieser Stoffe stellt der Umgang mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz eine große Herausforderung dar.

Was sind Nanoimaterialien?

Nanomaterialien sind in mindestens einer Dimension etwa 1 bis 100 Nanometer (1 Milliardstel Meter, „nm“) groß und erhalten dadurch neue Eigenschaften.

Sie enthalten Partikel frei, als Aggregat oder Agglomerat, und mindestens die Hälfte der Partikel hat in der Anzahlgrößenverteilung Außenmaße zwischen 1 bis 100 nm. Sie sind natürlich, zufällig entstanden oder bewusst hergestellt.

Als Nanomaterialien gelten auch einwandige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff mit einer oder mehreren Dimensionen unter 1 nm, Fullerene sowie Graphenflocken.

Der Nano-Leitfaden des Zentral-Arbeitsinspektorates zielt nur auf Stoffe, Gemische oder Erzeugnisse, die aus bewusst erzeugten Nanomaterialien bestehen bzw. solche enthalten, und nicht auf natürliche oder bei Prozessen zufällig anfallende Stoffe wie Schweißrauche.

Vorsorgeprinzip

Ein Vorsorgeprinzip soll potenzielle Schäden von vornherein vermeiden, auch wenn ihre Art, ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ungewiss sind. Bei Nanomaterialien fehlen oft noch wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse.

Wenn nach derzeitigem Wissen ernste Gesundheitsschäden nicht auszuschließen sind, sind sie wie gesundheitsgefährdende Stoffe zu behandeln, das heißt: Exposition vermeiden bzw. möglichst weitreichende Schutzmaßnahmen zur Minimierung ergreifen, bis ihr Risikopotenzial bekannt ist.

Informationen in der Lieferkette

Die Angaben in Sicherheitsdatenblättern sind meist ungenügend und lückenhaft. Bei wichtigen Informationsdefiziten und staubenden Tätigkeiten von Lieferantinnen und Lieferanten zumindest Informationen fordern über:

  • Einstufung der nanoskaligen Form;
  • Partikelanzahlgrößenverteilung;
  • spezifische Oberfläche;
  • Form und Struktur;
  • Oberflächenmodifikation der Nanoobjekte;
  • Wasserlöslichkeit; < 100 mg/l unlöslich = biobeständig;
  • Angaben zum Staubungsverhalten;
  • Angaben zur Brennbarkeit (Entzündbarkeit, Ex-Grenzen).

Stoffgefahren und Expositionen

Für jeden nanoskaligen Arbeitsstoff wird eine Stoffliste angelegt, welche die Stoffgefahren charakterisiert. Dazu müssen seine gesundheitsgefährdenden und physikalisch-chemischen Eigenschaften ermittelt werden.

Zudem werden für alle Nanoarbeiten Tätigkeitslisten angelegt, um die (mögliche) Nano-Exposition zu charakterisieren. Dazu ist die Arbeitssituation zu erheben. Eine gefährliche Situation kann auftreten, wenn Nanomaterialien offen gehandhabt werden, z.B. Einwiegen, Portionieren und Dosieren, Befüllen, Entleeren; Probenahme, Mahlen, Schleifen und Polieren, Bohren, Verpacken, Reinigung, Instandhaltung, Abfallsammlung.

Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Vorgesetzte sind in die Beschreibung und Beobachtung der Arbeitsplätze einzubeziehen:

  • Routine- und Nicht-Routinetätigkeiten erfassen
  • Fokus auf Arbeitsschritte, die zu inhalativer/dermaler Aufnahme führen können bzw. mit Brand- und Explosionsgefahren verbunden sind
  • Verbrauch pro Zeiteinheit der Nano-Arbeitsstoffe notieren
  • Dauer und Häufigkeit etc. der Nano-Tätigkeit feststellen
  • Anzahl, Qualifikation, Informationsstand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermitteln
  • vorhandene Schutzmaßnahmen, z.B. geschlossenes System oder geeignete Persönliche Schutzausrüstung, sowie Möglichkeit von Staub- und Aerosolbildung erfassen

Mit Messungen können Emissionsquellen festgestellt, eine grobe Quanitifizierung der Exposition vorgenommen oder die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen beurteilt werden.

Einfache, praktikable Messverfahren sind aber noch in Entwicklung.

Nano-Leitfaden

Der im Auftrag des Zentral-Arbeitsinspektorates erstellte  Leitfaden für das Risikomanagement von Nanomaterialien am Arbeitsplatz gibt eine schrittweise Handlungsanleitung für deren „Evaluierung“ und das Risikomanagement. Ergänzt wird er durch detailliertere Themenblätter, ein Glossar und Informationsquellen.

Risikoabschätzung

Siehe dazu auch Nano-Leitfaden Kapitel 3

Anwenderbetriebe sollten sich bei einer unzureichenden Datenlage erst von Herstellerinnen und Herstellern und Lieferantinnen und Lieferanten bestätigen lassen, dass ein Nanomaterial nicht gefährlich ist bzw. informieren, wie damit sicher gearbeitet werden kann. Fehlen nähere Angaben über das Gefährdungspotenzial, ist ein maximales Schutzniveau anzustreben!

Es empfiehlt sich, bei der Risikoabschätzung und der Festlegung von Maßnahmen mit qualitativen Methoden pragmatisch vorzugehen, bis das Wissen über Nanomaterialien groß genug ist, um exakte quantitative Methoden anzuwenden: Gefährdungsbeurteilung durch Stoff-Gruppierung mit oder ohne Control-Banding-Ansatz. Das Risiko von Stoffgefahren bzw. Expositionen wird mit Control-Banding vereinfacht eingeschätzt. Aus einer Matrix von Gefahren (Schadensschwere) und Expositionsbändern (Eintrittswahrscheinlichkeit) ergibt sich das Risikoniveau mit Vorschlägen für Schutzmaßnahmen. Die Maßnahmenbänder sollen für jedes Gefährdungspotenzial den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausreichend Schutz gewährleisten. Im Folgenden einige Beispiele:

Die Taschenscheibe des Einfachen Maßnahmenkonzepts Gefahrstoffe der BAuA ist mit Einschränkungen auch bei der inhalativen Belastung durch Nanostäube in kleineren Betrieben einsetzbar. Tätigkeiten mit festen, stark staubenden Nanomaterialien haben bei unbekanntem Gefahrenpotenzial die mittlere Gefährlichkeitsgruppe „C“ und die Freisetzungsgruppe „Hoch“. Als erforderliche Maßnahmenbänder ergeben sich je nach verbrauchter Menge „Technik“ (kleine Menge) bzw. „Geschlossenes System“ (mittlere/große Menge). Zu allen möglichen Maßnahmenniveaus gibt es detaillierte Schutzleitfäden.

Das holländische Tool zur Gefährdungsbeurteilung Stoffenmanager enthält ein Control Banding-Nano-Modul mit Schwerpunkt auf inhalativen Gefährdungen. Fünf Gefahrenbänder ergeben sich aus Wasserlöslichkeit, biobeständige Nanofasern, nanospezifische Gefahren, toxikologische Datenlücken. Vier Expositionsklassen ergeben sich z. B. aus Emissionspotenzial Stoff bzw. Tätigkeiten, vorhandene Schutzmaßnahmen, Verhalten, Dispersion. Die Matrix liefert drei Risikoniveaus/Prioritätenbänder für Maßnahmen.

Schutzmaßnahmen werden empfohlen, Optimierung erfolgt laufend.

Die deutsche TRGS 527 teilt Nanomaterialien nach Biobeständigkeit, toxikologischen Eigenschaften, Form und Struktur in vier Wirkkategorien ein, die verschiedene Ansätze in Gefährdungsbeurteilung und Maßnahmenfestlegung nach sich ziehen:

  1. Löslich: Wasserlöslichkeit größer als 100 mg/l, z.B. Salze Gefährdungsbeurteilung folgt TRGS 400
  2. Biobeständig mit spezifischen toxikologischen Eigenschaften: Bioverfügbarkeit durch relativ größere Oberfläche evtl. höher als bei der Grobform, z.B. Gold, Silber, Zinkoxid; STOP-Schutzmaßnahmen; mind. stoffspezifische Grenzwerte für A- bzw. E-Fraktion einhalten (generell unter 0,1 mg/m3).
  3. Biobeständig ohne spezifische toxikologische Eigenschaften: Toxizität infolge Partikelwirkung, z.B. Industrieruß, Titandioxid; STOP-Schutzmaßnahmen, wenn A-Staubfraktion über 0,5 mg/m3 (bei Dichte von 2,5 g/cm3), oder wenn Partikelanzahl größer als doppelte Hintergrundbelastung oder wenn nicht gemessen.
  4. Biobeständig faserförmig: evtl. asbestähnliche Wirkung, z.B. bestimmte Carbon-Nanotubes; STOP-Schutzmaßnahmen wie bei krebserzeugenden Stoffen; Vorsorgeprinzip anwenden!

Schutzmaßnahmen

Siehe dazu auch Nano-Leitfaden Kapitel 4

Die Auswahl der Schutzmaßnahmen orientiert sich am STOP-Prinzip bzw. der Rangordnung im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz. Speziell zu beachten sind:

  • biobeständige faserförmige Nanomaterialien;
  • Nanomaterialien, die krebserzeugende, reproduktionstoxische, mutagene oder atemwegssensibilisierende Stoffe enthalten;
  • explosionsfähige und katalytisch wirksame Nanomaterialien. Ersatzmaßnahmen sind zuerst auszuloten z.B. können größere Partikel verwendet werden? Sinnvoll und meist praktikabler ist der Ersatz von gefährlichen Arbeitsprozessen, durch z.B. aerosolarme Verfahren (Streichen, Tauchen) statt Sprühanwendungen.
  • Verfahrensschritte mit hohem Risiko wie Umschütten von Nanopulvern sollten möglichst automatisiert oder vermieden werden.
  • Günstig ist eine Formveränderung des verwendeten Nanomaterials, z.B. Granulate, Pasten, in Verbundwerkstoffen oder in einer Flüssigkeit suspendiert statt trockene, staubende Pulver.

Technische Maßnahmen:

Zur Herstellung von Nanomaterialien und zur Arbeit mit staubenden Nanopartikeln sollten, außer bei Kleinstmengen, geschlossene Systeme eingesetzt werden. Vorhandene, nicht geschlossene Anlagen oder Apparaturen sind zu kapseln!

Arbeitsschritte mit potenzieller Nano-Exposition außerhalb geschlossener Systeme erfordern zusätzliche Maßnahmen, z.B.:

  • an der Quelle absaugen (z.B. Abzüge, Absaugungen); allgemeine Lüftungsmaßnahmen unzureichend!
  • geeignete Absaug-, Lüftungs- und Filtertechnik, z.B. HEPA-Filtrierung und elektrostatischer Abscheidung;
  • Schwebstofffilter der Filterklassen H (HEPA) bzw. U (ULPA);
  • abgesaugte Luft nicht ohne Abluftreinigung mit sehr hohen Abscheidegraden ins Freie leiten bzw. zurückführen.

Organisatorische Maßnahmen:

  • (potenzielle) Expositionszeit so gering wie möglich halten, Dauer und Häufigkeit der Arbeit mit Nanomaterialien durch entsprechende Arbeitsorganisation minimieren;
  • Zahl der potenziell exponierten Personen, sowie gehandhabte Mengen an Nanomaterialien so weit wie möglich reduzieren;
  • Nanomaterialien innerbetrieblich klar kennzeichnen und Nanoarbeiten auf spezifische Nano-Bereiche begrenzen;
  • Zugang zu den Nano-Bereichen auf befugte und geschulte Personen beschränken;
  • klare Verantwortlichkeiten bestimmen.

Weitere Maßnahmen betreffen z.B. Information und Unterweisung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; regelmäßige Instandhaltung von Absaug- und Lüftungsanlagen; arbeitshygienische Regeln; geeignete Lagerung von Nanomaterialien; sachgerechte Reinigungsarbeiten; Sammlung von Nano-Abfällen; unbeabsichtigte Nano-Freisetzung.

Persönliche Schutzmaßnahmen sind die letzte Möglichkeit der Expositionsminmierung. Zu beachten: Auswahl, Unterweisung, Aufsicht und Instandhaltung, weil eine falsche Wahl, ein schlechter Sitz oder Gebrauch sie nutzlos machen kann. Generell sollte man sich vom PSA-Hersteller die Wirksamkeit bei den verwendeten Nanomaterialien bestätigen lassen.

  • Als Atemschutz sind faserförmige Filtermasken mit mittlerem und hohem Abscheidevermögen (P2, P3) prinzipiell geeignet;
  • Bei möglichem Hautkontakt Schutzhandschuhe, z.B. aus Nitril; bei staubenden Arbeiten unbedingt Chemikalienhandschuhe tragen;
  • Für Schutzkleidung: Membranmaterialien wie Tyvek (Polyethylen) geeignet, weniger gut: gewebte Stoffe; bei Stäuben staubdichte Schutzanzüge tragen;
  • Aufgrund der Risikoabschätzung evtl. auch Tragen von Schutzbrillen z.B. dicht schließende Korbbrillen.

Österreichischer Aktionsplan Nanotechnologie

Mit der Verabschiedung des Österreichischen Aktionsplanes Nanotechnologie (2010) wurden konkrete Umsetzungsaufträge erteilt. In einem Umsetzungsbericht war darüber zu berichten. Der Umsetzungsbericht wurde am 11. Juni 2013 von der Bundesregierung angenommen.

Informationen über Nanomaterialien

Grundlagen, Chancen und Risiken aus österreichischer Sicht bietet das Österreichische Portal für Nanotechnologie: Nanoinformation.at.

Österreichischer Aktionsplan Nanotechnologie der WKO.

AUVA Merkblatt M 310 Nanotechnologien Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Deutschland

Nano und Arbeitsschutz: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Bekanntmachung Gefahrstoffe 527 (Hergestellte Nanomaterialien).

Einfaches Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe (EMKG), welches auch für die Risikoabschätzung bei Nanomaterialien anwendbar ist.

Empfehlung für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Nano-Portal (Sicheres Arbeiten mit Nanomaterialien am Bau)

Letzte Änderung am: 26.04.2021