Menschengerechte Gestaltung der Arbeit

Der Begriff Ergonomie

Ergonomie setzt sich aus zwei griechischen Worten zusammen:

ergon ... das Werk, die Arbeit

nomos ... das Gesetz, die Lehre

Ergonomie ist also die Lehre von der Arbeit.

Das technische Komitee Ergonomie der ISO definiert Ergonomie etwas umfassender:

"Die Ergonomie erarbeitet und verarbeitet humanwissenschaftliches Wissen mit dem Ziel, eine Anpassung von Arbeit, Arbeitssystem und Umgebung an die physischen und psychischen Fähigkeiten der Menschen herbeizuführen und damit Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden sicherzustellen, indem gleichzeitig die Leistungsfähigkeit erhöht und das Arbeitsergebnis verbessert wird."

In der betrieblichen Praxis hat die Ergonomie daher zwei Zielrichtungen:

  1. Humanität: Gestaltung beeinträchtigungsfreier und gesundheitlich unbedenklicher Arbeitsbedinungen
  2. Produktivität: Erhöhung von Qualität und Rentabilität

Das im Vordergrund stehende Anliegen ist die Anpassung der Arbeit an den Menschen durch Gestaltung des Arbeitssystems bestehend aus:

  • Arbeitsplatz
  • Arbeitsraum
  • Arbeitsmittel
  • Umgebungsbedingungen
  • Organisation der Abläufe

Nicht außer Acht gelassen darf dabei der durch den technischen Fortschritt sich ergebende Anpassungsbedarf des Menschen:

  • Berücksichtigung der erforderlichen Eignung
  • Übung, Gewöhnung
  • Einarbeitung
  • Training und Ausbildung

Menschengerechte Gestaltung der Arbeit

Die Gestaltung der Arbeit soll folgende Forderungen erfüllen:

  • Arbeit muss ausführbar und erträglich sein und
  • Arbeit soll zumutbar und zufriedenstellend sein.

Erträglichkeit im Sinne von Schädigungslosigkeit

Ist die Ausübung der Arbeit bei täglicher Wiederholung über das gesamte Arbeitsleben ohne Gesundheitsschädigung möglich? - Eine Fragestellung, die mit Methoden der Ergonomie und Arbeitsmedizin zu beantworten ist.

Zumutbarkeit im Sinne von Beeinträchtigungsfreiheit

Werden die vorhandenen Erschwernisse und Beeinträchtigungen von den Betroffenen als zumutbar empfunden, entstehen dabei gar Beeinträchtigungen? - Eine Fragestellung, die mit Methoden der Sozialwissenschaften zu beantworten ist.

Zufriedenheit im Sinne von Persönlichkeitsförderlichkeit

Sind die Betroffenen mit der Arbeit zufrieden? Ist die Arbeit persönlichkeitsfördernd, trägt sie zur Persönlichkeitsentwicklung bei? - Eine Fragestellung, die mit Methoden der Psychologie und der Sozialwissenschaften zu beantworten ist. 

Erfolgsfaktor Ergonomie im Betrieb

Gute ergonomische Lösungen im Betrieb haben neben dem unmittelbaren Nutzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch einen Nutzen für das Unternehmen:

Es nehmen ab:

  • Unfallhäufigkeit
  • arbeitsbedingte Erkrankungen
  • Fehlerrate

Es nehmen zu:

  • Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • Qualität der Erzeugnisse und Leistungen
  • Marktchancen und Image des Unternehmens 

Wichtige Rechtsgrundlagen zur Ergonomie im Überblick

Belastung und Beanspruchung

Jede Tätigkeit ist mit verschiedenen von außen auf den Menschen einwirkenden Belastungen verbunden:

  • physische Belastungen
  • psychische Belastungen
  • Umgebungsbelastungen

Belastungen werden (individuell unterschiedlich) als Beanspruchung wahrgenommen. Diese Wahrnehmung kann positiv sein, kann aber auch zu negativen Folgen führen. Entscheidend sind dabei die eigene Leistungsvoraussetzung sowie Umfang und Dauer der Einwirkung.

Eine beanspruchungsoptimierte Gestaltung der Arbeit kann dazu beitragen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Tätigkeit als anregend erleben, in der sie ihre Fähigkeiten optimal einsetzen können, durch die Technik dabei untertstützt werden und schlussendlich die Arbeit Freude bereitet.

Leistungsvoraussetzungen des Menschen

Leitsatz:

"Es geht nicht darum, Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter zu finden, die extreme Anforderungen erfüllen, sondern eine Aufgabe so zu gestalten, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese erfüllen können!"

Kein Mensch gleicht dem anderen. Alter, Geschlecht, Veranlagung, körperliches Wachstum und viele Eigenschaften mehr sind verschieden. Zu den wichtigsten Eigenschaften zählen:

  • Variabilität physischer und psychischer Eigenschaften
  • Einfluss des Lebensalters
  • Einfluss des Geschlechts
  • Einfluss der Tageszeit

Die physischen und psychischen Eigenschaften des Menschen, wie Körpergröße, Körperkraft oder bspw. auch die Reaktionsschnelligkeit, unterliegen einer statistischen Verteilung. Standard in der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung ist, dass Arbeitsplätze so eingerichtet werden, dass sie für 90 % der zu erwartenden Beschäftigten geeignet sind (Bereich zwischen dem 5. und dem 95. Perzentil). Bekanntestes Beispiel dafür ist die Verstellmöglichkeit von Tischen und Arbeitsstühlen. Für besonders kleine oder besonders große Menschen sind daher aber immer individuelle Sonderlösungen notwendig.

Altersabhängigkeit der Leistungsvoraussetzungen

Die Arbeit sollte dem Prozess des Alterns entsprechend gestaltet werden. Der Prozess des Alterns setzt bereits in der Jugend an, deshalb soll eine "alternsgerechte Arbeitsgestaltung" schon bei jungen Arbeitnehmerinnen Arbeitnehmern beginnen.

Weitere Informationen siehe Alternsgerechte Arbeitsgestaltung

Tagesgang der Leistungsbereitschaft

Physiologische Funktionen sind tageszeitabhängig. Gleiche Arbeiten werden daher zu verschiedenen Tageszeiten als unterschiedlich beanspruchend empfunden. Dies ist insbesondere bei der Schichtarbeit zu berücksichtigen. Die meist für Tagesschichten konzipierte Gestaltung des Arbeitsplatzes erweist sich oftmals als ungenügend für die Nacht.

Physische Belastung

Der traditionelle Begriff der körperlichen Belastung reicht für die heutigen Belastungssituationen nicht mehr aus. Folgende Schwerpunkte bestehen aus heutiger Sicht:

  • Handhabung von Lasten
  • erzwungene Körperhaltungen
  • häufig wiederkehrender Einsatz kleiner Muskelgruppen
  • Bewegung unter ungünstigen räumlichen Bedingungen
  • überhöhter Kraftaufwand

Körperliche Beanspruchungen betreffen hauptsächlich:

  • Skelettbeanspruchung
  • Kreislaufbeanspruchung
  • Muskelbeanspruchung

Diese Beanspruchungen treten immer gemeinsam auf und führen zum Teil zu Verschleißerscheinungen am Bewegungs- und Stützapparat, im übrigen zur Ermüdung.

Checkliste biomechanische Faktoren

Eine erste Annäherung and das Thema der biomechanischen Faktoren kann mit der für einen Schwerpunkt der Arbeitinspektion 2021 etwickelten Checkliste erfolgen:

  • Die Checkliste enthält mess- und beurteilbare Parameter, Beispiele typischer Tätigkeiten und Angaben zur betroffenen Körperregion, die den Schluss nahelegen, dass eine Gefahr oder Belastung durch diese Tätigkeiten bestehen könnte.
  • Die hier angeführten Parameter sind keine Grenzwerte im üblichen Sinn, bei deren Überschreitung eine Erkrankung (über kurz oder lang) auftreten kann sondern nur das Signal dafür, sich den Arbeitsplatz und die Tätigkeiten aus präventiver Sicht anzusehen. Andererseits kann aber sehr wohl gesagt werden, dass bei Unterschreitung der Parameter mit großer Wahrscheinlichkeit keine langfristigen Schäden zu erwarten sind, also kein Handlungsbedarf seitens der Arbeitsinspektion aber auch für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber besteht.

Checkliste MSE (Beurteilungshilfe für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber)

Die Checkliste entspricht in ihrer Gliederung der Gefährdungsbeurteilung mit den Leitmerkmalmethoden (LMM) (BAuA - Bundesanstakt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) 

Die Leitmerkmalmethoden wurden unter Federführung der BAuA entwickelt. Sie gehören zu den Screening-Methoden, setzen aber eine gute Kenntnis der zu beurteilenden Arbeitsplätze voraus. Die Leitmerkmalmethoden ermöglichen das Erkennen von Defiziten bei der Arbeitsgestaltung und geben Hinweise auf Maßnahmen, die das Risiko für negative gesundheitliche Effekte verringern können.

Hier der Link auf die Kurzfassung LMM.

Muskel-Skelett-Erkrankungen

Arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungen (MSE) sind in Europa trotz vielfältigster Präventionsbemühungen weit verbreitet und gehören zu den häufigsten arbeitsbedingten Erkrankungen in Europa.

Arbeitsbedingte Muskel- und Skeletterkrankungen treten hauptsächlich im Bereich des Rückens, des Nackens, der Schultern und der oberen und unteren Extremitäten auf. Sie umfassen alle Schädigungen oder Störungen des Bewegungsapparates. Die gesundheitlichen Folgen reichen von geringfügigen Schmerzen und vorübergehenden Bewegungseinschränkungen bis hin zu schweren Erkrankungen, die Krankenstand und medizinische Behandlung erfordern. Wenn die Erkrankungen chronisch werden, können sie gar zu Einschränkungen führen, die eine Reduktion der Arbeitszeit, einen Wechsel der Arbeitstätigkeit bis hin zu einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben notwendig werden lassen.

Ganz allgemein gelten als Risikofaktoren, die MSE erhöhen, alle psychosozialen und organisatorischen Faktoren (insbesondere in Kombination mit physischen Risiken), die zu Stress, Erschöpfung, Angstzuständen oder anderen Reaktionen führen können.

Nähere Infomationen auf der Seite Muskel-Skelett-Erkrankungen.

Schwere körperliche Arbeit

Diese wird in der Regel über den erhöhten Energeieaufwand bei der Tätigkeit definiert. Neben der körperlichen Konstitution und Verfassung sind auch Klimaparameter (Lufttemperatur, Luftfeuchte) dabei von Bedeutung.

Handhaben von Lasten

Lastenhandhabung findet sich in den Betrieben oftmals dort, wo bestimmte Arbeitsvorgänge selten erfolgen oder maschinell nicht wirtschaftlich durchgeführt werden können. Die Handhabung erfolgt am häufigsten durch Ziehen,  Schieben, Heben, Tragen, Absetzen oder Halten.

Bei der Handhabung von Lasten werden das Muskel-Skelettsystem, das Herz-Kreislaufsystem und bei Frauen die Muskulatur des Beckenbodens besonders beansprucht.

Im Rahmen der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren ist die manuelle Lasthandhabung entsprechend zu berücksichtigen, um Unfälle und Schädigungen durch Überbelastung zu vermeiden.

Ebenfalls zu berücksichtigen ist die körperliche Eignung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
(siehe dazu § 6 ASchG sowie Bestimmungen über Jugendliche und werdende Mütter).

Ist die Vermeidung manueller Lasthandhabung nicht möglich, z.B. durch Automatisierung, so muss die Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Zurverfügungstellen von Lasthandhabungsmitteln (Fördermittel, Traghaken, Gurte, ...) oder durch organisatorische Maßnahmen auf ein gesundheitsgerechtes Ausmaß verringert werden.

§ 64 ASchG

Weitere Informationen siehe Manuelle Lasthandhabung.

Psychische Belastung

Das früher eher durch schwere körperliche Arbeit und die schädigende Einwirkung von Arbeitsumweltfaktoren gekennzeichnete Belastungsspektrum in der Arbeitswelt hat sich durch Technologieeinsatz und neuer Arbeitsformen zu psychomentalen und psychosozialen Belastungen hin verschoben. So können nicht nur ungünstige Arbeitsplatzgestaltungen und unergonomische Arbeitsabläufe, sondern auch rasche Innovation, Zeitdruck, Konflikte und soziale Isolation am Arbeitsplatz zu Gesundheitsgefahren werden.

"Gefahren durch psychische Belastung bei der Arbeit, also arbeitsbedingte psychische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen können entstehen, wenn die Arbeitsanforderungen und die verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten nicht zusammenpassen.

Dieses Ungleichgewicht führt bei längerer Dauer zu kurz- und langfristigen Fehlbeanspruchungen."

Weitere Informationen siehe Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen.

Letzte Änderung am: 07.11.2022